Die „langsame“ Zeit neigt sich auch bei Sebastian und Andreas Estner dem Ende entgegen: Bald sitzen sie wieder im Rennwagen.
Wall – Entschleunigung ist in Corona-Zeiten schwer in Mode. Andreas und Sebastian Estner können ihren (gezwungenermaßen) langsameren Lebensstil sogar auf dem Tacho ablesen. Statt mit weit über 200 Stundenkilometern über die Strecken zu jagen, zuckeln die beiden Brüder aus Wall derzeit oft im Schneckentempo über die Straßen im Landkreis Miesbach. „Beim Ölspurreinigen ist man eben nicht so schnell unterwegs“, meint Andreas Estner, der wie sein Bruder Kfz-Mechatroniker im Unfallinstandsetzungsunternehmen seiner Eltern lernt.
Eigentlich wären die Estners längst auf den Rennstrecken Europas unterwegs. Wie berichtet, haben sie beim niederländischen Top-Team Van Amersfoort Racing für die Saison 2020 des Euroformula Open unterschrieben. Doch kurz vor den ersten Testfahrten kam der europaweite Lockdown. Und auch die schnellen Brüder mussten zu Hause bleiben. Dort versuchten sie, sich mit Fitness und im Simulator auf den Saisonstart vorzubereiten. Ob und wann der erfolgen wird, wussten die Estners lange Zeit nicht.
Acht Rennwochenenden zwischen Juli und November
Nun aber haben sie endlich Gewissheit. Noch vor der Formel 1 hat der Veranstalter des Euroformula Open einen neuen Kalender veröffentlicht. Und der ist durchaus sportlich. Acht Rennwochenenden stehen von Ende Juli bis Anfang November auf dem Programm. Den Auftakt macht vom 23. bis 26. Juli der Hungaroring in Ungarn. Dann geht es weiter nach Paul Ricard (Frankreich), Red Bull Ring (Österreich), Monza und Mugello (Italien), Spa (Belgien) sowie Barcelona und Jarama (Spanien). Ersatzlos gestrichen sind die Läufe in Pau (Südfrankreich) sowie am Hockenheimring. Ein Heimrennen gibt es für die Estners damit heuer nicht.
Doch das können die Rennfahrer verschmerzen. „Wir sind einfach froh, dass wir heuer überhaupt noch fahren können“, sagt Andreas Estner. Auch wenn ihm nun eine äußert stressige zweite Jahreshälfte bevorsteht. So muss er nach der Gesellenprüfung im Juni auch noch diverse Tests in seinem Studium ablegen. Deshalb verzichtet Andreas Estner sogar freiwillig auf zwei Testtage.
Trotz Tests kein Zeitenvergleich möglich
Ein paar Runden im neuen Dallara 320, der erstmalig im Euroformula Open zum Einsatz kommt, haben die Brüder aber schon gedreht. Ende Mai durften sie den Rennwagen auf der neuen Formel-1-Strecke im niederländischen Zandvoort fahren. Die Anreise habe reibungslos geklappt. Um einer möglichen Quarantäne zu entgehen, habe man aber auf das Flugzeug verzichtet und sei mit dem Auto über die Grenze gefahren.
Auch an der Strecke selbst haben die Brüder die Folgen des Coronavirus bemerkt. „Wir mussten Masken tragen“, sagt Andreas Estner. Allerdings nur außerhalb des Autos, merkt er schmunzelnd an. „Sonst haben wir ja den Helm auf.“ Mit den Testergebnissen ist Estner auch zufrieden. Weil aber nur das Van Amersfoort Team auf der Strecke war, könne man noch keinen Zeitenvergleich anstellen. Das Setup des Autos habe man hingegen schon mal gut abstimmen können. Und ein körperliches Defizit der langen Corona-Pause mussten die Estners auch bei sich feststellen: Ihre Nackenmuskeln schmerzten, weil sie die Fliehkräfte durch die hohen Geschwindigkeiten nicht mehr gewohnt waren. „Das kann man daheim schlecht trainieren“, sagt Andreas Estner. Erst recht nicht beim Ölspurreinigen.
Text: Sebastian Grauvogl
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